Corin Curschellas und ein illustres Ensemble haben mit der «Singvogel Suite» dem Projekt «Uccelin» von Hans Danuser eine starke Hommage dargebracht. Die Aufführung regte erhellende Einblicke an
Kunst ist das, was bleibt, wenn Buchhalter und Krämer den Rollladen schon längst heruntergelassen haben. Kunst braucht Buchhalter, die über die Jahresbilanz hinausdenken können. Der gigantische Steinblock für Michelangelos «David» wäre nie von Pietrasanta nach Florenz gekommen, hätte die Weberzunft dem Künstler nicht in universeller Weitsicht den Auftrag erteilt. Die Zunft gibt es schon lange nicht mehr, der «David» posiert noch immer für die Japaner. Im Ökonomen-Slang heisst das: good return on investment.
Das Langzeitprojekt «Uccelin» des Künstlers Hans Danuser versammelt Abzählreime aus der ganzen Welt. Die Reime sind Volksdichtung für die spielerische Entscheidungsfindung. Für das renovierte und erweiterte Churer Schulhaus Quader entwarf Danuser Schriftfresken in allen vier Landessprachen.
Dazu Kinderreime aus Indien, England, Dänemark und Norwegen. Namensgebend ist ein Sprüchlein aus dem Bergell, das vom «Uccelin», dem Vögelein auf dem Meeresgrund, erzählt.
Die Geschichte ist bekannt: Danuser gewann damit den Wettbewerb für Kunst am Bau. Der neue Stadtrat hat die Kunst mit dem Rotstift aus dem Budget gestrichen, ganz nach dem Prinzip «Piff, paff, puff und du bisch duss».
Der ausgezählte Künstler antwortete in der Sprache der Geldverwalter und focht den Entscheid vor Verwaltungsgericht an. Der Richterspruch steht noch aus. Der Vogel erhielt temporär Asyl in der Jahresausstellung im Bündner Kunsthaus. Eine weitere, in luftiger Flughöhe angesiedelte Antwort wurde am Donnerstag in der Churer Postremise gegeben.
Die Musikerin Corin Curschellas versammelte Künstlerfreunde für die Uraufführung ihrer Komposition «Uccelin – Eine Singvogel Suite». Mit dabei: Astrid Alexandre, Ursina Giger, Hans Hassler, Mario Giovanoli und Performer und Performerinnen der Churer Theatergruppe Stevvi Productions. Und etwa nochmals so viele Freunde der Sache, die für Licht, Bühnenbild, Film- und Fotodokumentation und die perfekte Organisation zeichneten.
Aus der Stille in der pumpenvoll besetzten Remise stieg ein vielstimmiges Zwitschern, Schnattern, Pfeifen und Ziepen. Die Frauenstimmen,
Giovanolis Flöten und Hasslers Akkordeon trillerten, tschilpten und sangen sich «crescendo» in ungeahnte Weiten.
Die Performerinnen stammelten Silbenwirrwarr und schlichen mit wunderbar krummen Beinen aus Wallisellen wieder heimwärts. Von dort, dem Urgrund des Zuhauseseins, verwandelten sich die Abzählreime in melancholische Wiegenlieder.
Und zwischen Moll-artigem Wohlklang und urwaldlicher Kakofonie trieb Papageno, der Vogelfänger, seine Spässe. Unter der roten Vogelmaske verbarg sich der einzige Anwesende, der irgendwie mit der Stadtregierung in Verbindung gebracht werden kann: «Herr Stadträtin » Flurin Caviezel.
Die Politiker selbst haben sich dieser mit feiner Klinge geführten, künstlerischen Antwort auf das Totsparen des «Uccelin» nicht gestellt. Vielleicht, weil Danuser mit seiner Beharrlichkeit nervt. Vielleicht, weil sie Musik nicht der politischen Sprache zuordnen, sondern sie vor allem als Hintergrund für kostümierte Besäufnisse estimieren.
Dabei war die Lektion der Künstler interessant: Kunst hat die Kraft, sich zu wandeln. Aus Kinderreimen wird Schrift, wird Farbe, wird Architektur, um dann Musik, Gesang und Theater zu werden.
Deshalb überlebt die Kunst, auch wenn sie zu gewissen Zeiten untertauchen muss, wie jener kleine Vogel auf dem Meeresgrund. Und auch diese Lektion stand im Raum: Abzählreime sind archaische Modelle für Entscheidungsprozesse. Sie sind auch bei Wahlen anwendbar: «Piff, paff, puff. Und du bisch duss.»
Text: Mathias Balzer / Südostschweiz