Herkömmliche Berufsbezeichnungen können dieser Frau kaum beikommen: Singer/Songwriterin, Musikerin, Komponistin, Theater- und Filmschauspielerin - all diese Facetten hat Corin Curschellas in ihrer künstlerischen Vita schon ausgebreitet. Sie wuchs in Chur auf, und war von Anfang an einem polyglotten Umfeld ausgesetzt: Der Vater ist Rätoromane, die Mutter deutschsprachige Bündnerin, und untereinander sprachen die Eltern genauso natürlich Französisch. Von der Schauspielschule in Zürich zog sie ihre Kreise nach Berlin und Paris, erreiste sich Europa, aber auch alle anderen Kontinente. Und ist immer auf dem abenteuerlichen Doppelgleis zwischen Regionalem und Weltläufigem gefahren, hat ein Netzwerk zwischen Zuhause und Anderswo aufgebaut.
Mit dem Urgestein der Schweizer Musik, Walter Lietha, der Berner Kollegin Christine Lauterburg und dem Projekt eCHo sowie Max Lässers Überlandorchester ging sie genauso Teamworks ein wie mit Musikern aus aller Damen und Herren Länder, darunter das (weltum-) spannende Global Vocal Meeting und die ägyptischen Musicians of the Nile. Und sie lässt sich seit vielen Jahren immer wieder auf die Sprache der Jazz- und Avantgarde-Größen ein, etwa dem Vienna Art Orchestra, aber allen voran der New Yorker Szene um Peter Scherer und Marc Ribot. Besonders für ihre romanischen Lieder haben sich die beiden long time companions als Klangmaler erster Güte erwiesen - und tun dies nun erneut.
Es war im Jahre 1996, als Corin Curschellas unter dem Motto "Voices of Rumantsch" erstmals romanische Poesie auf die Weltbühne brachte und sie dazu in ein modernes Ambiente bettete. "Valdun" hieß das Werk und etablierte einen Fixpunkt in ihrem vielfältigen Schaffen. Musiker vom Big Apple über die europäischen Metropolen Paris und London bis hin nach Brasilien entwarfen eine weitflächige Spielwiese für die Rumantsch-Verse. Nach zwölf Jahren kehrt Corin nun zu diesem Fixpunkt zurück - unter veränderten Vorzeichen: Auf Grischunit konzentriert sie sich auf fünf Mitmusiker, die nun eher einen geschlossenen Bandsound kreieren. Die Essenz ihrer Songs kann so noch stringenter erfasst werden.
"Wie damals habe ich wieder geschaut: Was erzählen mir meine romanischen Poeten-Freunde?", erzählt Curschellas. "Ein verbindendes Thema habe ich ihnen nicht vorgegeben, ausser, dass ich in den Versen eine Tiefe und Ruhe haben wollte, keine Hektik. Wie ein breiter Fluss, ein Strom, der schon ganz gewachsen ist, sollte das Album werden." Dem Ruf des Stromes folgten viele: Da ist die Berühmtheit Linard Bardill, der als Barde und Autor von Kinderliedern bis zu Orchesterwerken alle Pfade der deutsch-schweizerischen und rätoromanischen Klangkunst bereichert hat. Da ist die Lyrikerin und Kurzprosa-Spezialistin Fabiola Carigiet und der in Mexiko und Breil aufgewachsene Bündner Thomas Cathomen. Im Kanon der Grischunit-Autoren sind verschiedenste Generationen versammelt: Es findet sich der bereits verstorbene Pater Alexander Lozza genauso wie der Nachwuchsautor Arno Camenisch. Und natürlich stand Corin Curschellas der bewährte Begleiter Benedetto Vigne zur Seite mit Texten und auch als Ko-Autor der Musik. Gedichtet wurde in den drei romanischen Idiomen Sursilvan, Surmiran und Vallader, aber auch in der neuetablierten, künstlichen Hochsprache Rumantsch Grischun, denn so Curschellas: "Ich bin nicht das Sprachrohr irgendeiner Talschaft und ihrem Idiom. Ich möchte mit meiner Stimme allen gehören!"
Nach den rudimentären Vertonungen mit Piano und Dulcimer traten die Songs ihre Reise über den Atlantik an, um vom US-Schweizer Keyboarder und Producer Peter Scherer in adäquate Soundscapes gesetzt zu werden. Als dieser die Klangtableaus bereitet hatte, traf man sich in Brooklyn zur Aufnahmesession. "Es war wie im Auge des Sturms", erinnert sich Corin Curschellas. "Rundum tobte der Orkan, dieses Summen, der New Yorker Puls, der zu jeder Tages- und Nachtzeit auf einer hohen Frequenz schlägt. Und wir waren da drinnen, total verlangsamt. Doch daraus entstand eine besondere Energie: Auf der einen Seite ich, die immer mehr zu einer Art "senilen Stadtflucht" neigt, und dort die New Yorker mit dem immer spürbar Urbanen, das eine Leidenschaft und ein Können mit sich bringen, die sie ganz akkurat auf den Punkt spielen lassen." Besonders bei Marc Ribot, der auf Grischunit mit seiner Saitenkunst fast wie eine zweite
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Stimme agiert, nahm sie dieses "Brennen" in jeder Sekunde wahr. Mit einem breitgefächerten "Tasten-Park" von kristallinen Keys bis scheppernden Orgeln schafft Scherer unterschiedlichste Sphären, während Shahzad Ismaily am Bass mal sehr erdig dann wieder sanglich grundiert und Matt Johnson am Schlagzeug mal feine Pinselstriche, dann auch zupackende Rockdrums beisteuert. Im Zentrum stets die "Naturstimme", wie Corin sich selbst nennt, ungekünstelt, sehr innerlich und visionär, dem Text dienend und ohne affektierte Artistik, herzlich und beherzt.
Balladeske Roadmovies, spirituelle Wanderungen und Träume, Anklänge an Blues, an Country-Rock und natürlich das experimentelle Vokabular des Big Apple ist auf Grischunit zu einem grandiosen Zyklus gebündelt: "Ina Buna Per Tai" erzählt im Latin-Flair und mit Ribots verschrobenen Noise-Gitarren von dem Kuss, den der Verstorbene seiner Frau durch die Glut des Kaminfeuers schickt. Mit "Porta Porta" rührt sie an Tagespolitik, wenn die umstrittene Porta Alpina, die geplante Gotthardtunnel-Station mitten im Rumantsch-Territorium, sich hier zum Sinnbild für geistige Offenheit und visionäre Verknüpfung wandelt. Im "La Canzun Nova Da Ziteil" erzählt sie von pilgernden Bergbauern und hebt ihre Frömmigkeit auf eine konfessionsübergreifende und gerade deshalb ergreifende Ebene. Und ganz erstaunlich das bluesige "Pinada": zunächst fast ein Rumantsch-Analog zu Curtis Mayfields "People Get Ready", warten in der Bridge bissige Kommentare des jungen Dichters Leo Tuor zur heutigen Ellbogengesellschaft. Bis zum großartigen Finale von "Che Di, Che Not" hält sie den Hörer gefangen, eine unter die Haut gehende Hymne an die aufgehende Sonne.
Und so endet dieses Werk mit einer signifikanten Aufbruchstimmung: "Mir kam einmal dieses schöne Bild in den Sinn, dass ich hier in den Cresta-See springe und im Hudson River wieder auftauche", so Curschellas. "Natürlich hätte ich auch Musiker aus der Schweiz nehmen können. Doch ich möchte mich hinauskatapultieren und ein Teil der universellen Musiksprache werden, damit meine Lieder verständlicher sind und ich keine Folklore kreiere." Und auf dieser Ebene leistet sie einen umso wirksameren Beitrag, dass die romanische Sprache nicht verschwindet. Für die einzigartige Bündner Vokalzauberin ist es ein Anliegen, dass das Rätoromanische kein fossiler Abdruck des Lateinischen bleibt, "ein Fetzen der römischen Toga, der an den Alpen hängen geblieben ist", wie sie sagt. Nein - diese Sprache ist ein lebendiger Klang all der Sehnsüchte, Hoffnungen, Träume und Freuden der Menschen in diesen Tälern und auf diesen Höhen - nicht irgendwo am Rande der Welt, sondern mitten in Europa. In den Liedern von Grischunit erwachen sie alle zu vielstimmiger Vielfalt.
The extremely rare mineral Grischunit is coloured at once brilliant copper and rather pedestrian metallic grey. The mineral, buried in the earth of Graubünden (Grisons) for millions of years, was discovered only a few decades ago: a singular mystery of Rhaetian Switzerland to be found nowhere else on the planet. That singer Corin Curschellas has named her album after this mineral gives rise to a compelling symbolism: her art is deeply rooted in the earth, and its discovery is exciting. And – last but not least – the stone’s patronage highlights the unique nature of her songs: using one of its least-spoken languages, she boldly bridges the gap between central Europe and the Hudson River.
Conventional job descriptions aren’t much use for this woman: singer-songwriter, musician, composer, theatre and film actor – all find their place on Corin Curschellas’ artistic resume. Growing up in Chur, her homelife was polyglotic from the start: her father is Rhaeto-Romanic, her mother Swiss-German from Grisons; both parents spoke French with each other just as naturally. After stage school in Zürich she spent time in Berlin, London, Barcelona and Paris and travelled through both Europe and the planet’s remaining continents. These journeys led her along parallel streets of the regional and the global, building a network between home and other places.
An enthusiasm for collaboration has led her to work with Walter Lietha, the "Godfather of Swiss music", her contemporary from Bern, Christine Lauterburg, the eCHo Project and Max Lässers Überlandorchester, as well as musicians from every corner of the world: the internationally active Global Vocal Meeting and the Eygptian Musicians of the Nile. And she has always been willing to speak the language of jazz and avant garde masters including the Vienna Art Orchestra, Steve Argüelles, Nguyen Lê, Richard Bona, Benoît Delbeqc, Christian Marclay etc. but above all the New York scene around Peter Scherer and Marc Ribot. For her Romansh songs in particular, these long-time collaborators have proved themselves first-class soundsmiths – and here, they do so again.
Corin Curschellas first launched Romansh poetry onto the world stage in 1996 as "Voices of Rumantsch", establishing herself in the modern ambience. "Valdun" represented a fixed point within her varied creative output. Musicians from the Big Apple, Brazil and the European metropolises of Paris, London created a global playground for the Romansh verse. After twelve years, Corin now returns to this fixed point, under changed augurs. On Grischunit she focuses on five fellow musicians, creating a unified band sound. The essence of her songs can as such be more easily grasped.
"As before, I thought, what do my Romanic poet friends tell me?", explains Curschellas, "I didn’t give them a unified theme apart from the fact that I wanted the verse to be deep and calm, no hectic elements. The album was supposed to be like a wide river, a flow that is well-established". The call of the river has been followed by many: the famous Linard Bardill, who enriched both Swiss-German and Rhaeto-Romanic musical heritage and bard and author of children’s songs to orchestral works. The poetry and short story specialist Fabiola Carigiet, and Thomas Cathomen from Grisons, raised in Mexico-City and Breil, Switzerland. The canon of
Grischunit’s authors includes various generations: the deceased padre Alexander Lozza and the up-and-coming author Arno Camenisch. And naturally, the proved talents of accompanist Benedetto Vigne were at Corin Curschellas’ side providing texts and co-composing music. Lyrics were written in the three Romansh idioms: Sursilvan, Surmiran and Vallader as well as the recently established artificial main language: Rumantsch Grischun. According to Curschellas, "I’m not the voice of any one valley and their idiom. I want my voice to belong to everyone!"
With rudimentary sounds from piano, ukulele and dulcimer, the songs began their journey across the Atlantic in order that Swiss-American keyboardist and producer Peter Scherer create their appropriate soundscapes. After he had prepared the sounds, they met for recordings in Brooklyn. For Corin Curschellas "it was like being in the eye of the storm. Around us, there was this hurricane, this buzz, the pulse of New York which races at a high frequency by day and night. And we were in there, completely slowed down. But just this created a special energy: on the one hand me, whose tendency to avoid cities is increasing with age, on the other hand the people from New York with their tangible urban background which brings with it a passion and an artistry which leads them to play 100% accurately." This "burning" was especially tangible with Marc Ribot, whose guitar is almost a second voice on Grischunit. Across a broad palette from clear, crystalline notes to rattling organs, Peter Scherer creates diverse aural spheres while Shahzad Ismaily’s bass produces tones both earthy and lyrical and Matt Johnson added soft strokes of the brush as well as gripping rock drums. At the centre is Corin’s self-proclaimed "natural voice": untreated, internal and visionary, it delivers lyrics from the heart with a doughty spirit and no affected artistry.
Balladesque road movies, spiritual wanderings and dreams, echoes of the blues, of country rock and of course the New York’s experimental vocabulary: on Grischunit all are bound up into a grandiose cycle. With Latin-flair and Ribots crack-pot noise guitar "Ina Buna Per Tai" tells of a kiss sent by a dead man to his wife through the glow of the fireplace. With "Porta Porta", local politics is addressed, specifically the Porta Alpina, a station planned for the Gotthard tunnel, which here transmutes to a metaphor for spiritual openness and visionary connections. In "La Canzun Nova Da Ziteil", Curschellas sings of the pilgrimages of mountain farmers and elevates there piety to a level which, in encompassing and transcending confession, becomes poignant. And the astonishingly bluesy "Pinada": initially almost a Romansh reading of Curtis Mayfields "People Get Ready" in the bridge wait writer Leo Tuor biting comments on today’s dog-eat-dog society. Up until the fantastic final of "Che Di, Che Not" – the hymn to the rising sun gets under the skin – she holds the listener prisoner. And so this work ends with a significant atmosphere of departure: "I had this beautiful picture in my head; I could jump into the Cresta Lake right here, and emerge in the Hudson River" explains Curschellas. "Obviously, I could have taken Swiss musicians. But I wanted to catapult myself out and become part of the universal language of music, to make my songs easier to understand and to avoid creating folklore". And in doing this, she has also done much to ensure that the Romansh language is not lost. For this singular vocal sorceress from Graubünden (Grisons) it is important that Romansh (Rumantsch) does not remain a fossilised imprint of Latin, "a thread of Roman toga that got caught on the Alps" as she puts it. No – this language is the living sound of all the yearning, hope, dreams and joy of the people in these valleys and on these mountains – not in some forgotten corner of the world, but at the centre of Europe. And in the songs of Grischunit all of this awakes in a multiplicity of voices.
Foto: Sava Hlavacek